Das Bild des Landjudentums ist bis heute geprägt von der Vorstellung der Juden als Händler, in den Gemeinden des Hunsrücks vor allem als Viehhändler. Die christliche Mehrheitsgesellschaft hatte im Laufe der Jahrhunderte Juden verwehrt, Land zu erwerben oder in Handwerkerzünften und Kaufmannsgilden Mitglied zu werden. Eine "Berufswahl" konnte unter diesen Umständen nicht stattfinden, weshalb sich die Juden auf dem Lande neue Möglichkeiten des Erwerbs erschließen mussten. Diese lagen im Handel, oft verbunden mit Kleinkreditvergaben an die bäuerlichen Kunden in den entlegenen Dörfern auf dem Lande. Erst die französische Zeit („Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“) um 1800 und die seit 1815 folgende Preußenzeit brachten eine langsame Änderung der randständigen gesellschaftlichen Situation mit sich.
Juden im Viehhandel
Der kleine Landbesitz und der Viehhandel wurden so zur Haupterwerbsquelle für jüdische Familien, dies änderte sich nur unwesentlich bis nach dem Ersten Weltkrieg. Der Hunsrück war wegen seiner topografischen Gegebenheiten eine viehreiche Region. Es gab zahlreiche Marktstädte und im 20. Jahrhundert entstanden erste Eisenbahnverbindungen von der Nahe über Simmern, Kastellaun, Emmelshausen bis Boppard, mit Querverbindungen über Kirchberg, Hermeskeil und Trier sowie einer Nebenstrecke bis Gemünden. Viele Juden siedelten sich dort an, weil die Eisenbahnlinien den Transport von Waren und Vieh schneller und einfacher machten. Die Mittelrheinstrecke zwischen Koblenz und Bingen wurde schon 1859 eröffnet und so waren in Boppard noch 1926 von den neun Vieh- und Pferdehändlern sieben Juden.
Darüber hinaus war es das religiöse Gebot des Schächtens, welches die jüdische Landbevölkerung eng an den Viehhandel band. Denn nur koschere Tiere, die nach den biblischen Ge- und Verboten geschlachtet wurden, durften auch verzehrt werden. Der Viehhandel und das Schlachten musste daher selbst in die Hand genommen werden - Schlachtung, Handel und Verkauf bildeten infolgedessen eine enge Einheit.
Der Viehhandel war jedoch sehr krisenanfällig (z. B. Seuchen, Missernten), weshalb jüdische Familien für ihre Kinder zunehmend eine höhere Schullaufbahn und andere Berufe anstrebten.
„Mein Vater war bestrebt, uns eine angemessene Bildung zu geben, und uns auf eine gesunde Berufslaufbahn vorzubereiten. Jedes ordentliche Handwerk war dem Viehhandel vorzuziehen...“
Bis in den 2. Weltkrieg hinein zeigen die Berichte der Landräte, dass der jüdische Viehhändler unentbehrlich war für den Rhein-Hunsrück-Raum. Nach seinem schrittweisen Ausschalten ab 1933 ging etwa der Viehauftrieb auf dem größten Viehmarkt in Kastellaun stark zurück, die Landwirte klagten über mangelnde Handelsmöglichkeiten.
Die folgenden Fotografien und Objekte vermitteln einen Eindruck von der Arbeit der Viehhändler und den Beziehungen zwischen jüdischen und christlichen Handelspartnern.
Handwerk und andere Handelsberufe
Eng mit der Landwirtschaft verbunden war die Wirtschaftstätigkeit in anderen Bereichen. Vielmals agierten jüdische Händler als Vermittler zwischen Land und Stadt: Sie vertrieben landwirtschaftliche Produkte auf den regionalen und überregionalen Märkten, vermittelten umgekehrt aber auch die städtischen Produkte an die Landbevölkerung. Darunter waren koschere Produkte für ihre Glaubensgenossen ebenso wie Manufakturwaren, Leinen-, Tuch- und Bettwaren, Herrenkonfektion, Möbel, Militärbedarf (ab 1914), Kolonialwaren, Tabak, Öle und Fette. Als Hausierer und umherziehende Händler, die mit ihrem Tragegestell in der Regel zu Fuß weite Strecken zurücklegten, vermarkteten sie anfangs ihre Ware. Erst im 19. Jahrhundert vollzog sich allmählich der Wandel hin zum Kaufmann mit festem Ladengeschäft. Den Handelsberuf kennzeichnete stets eine große Mobilität mit weitverzweigten Geschäftsbeziehungen. Aus der Stadt importierten sie daher nicht nur ihre Ware, sondern auch städtische Moden, Interessen und Ideen. Monika Richarz bezeichnet die Landjuden daher als "bürgerliches Element im Dorf".
In Folge der zunehmenden gesellschaflichen Integration und Gleichstellung, übten Juden im 19. Jahrhundert auch vermehrt Handwerksberufe aus. Sie widmeten sich vornehmlich jenen Berufen, die wichtig waren für das Ausüben der religiösen Riten. Neben dem Metzgerhandwerk (Schächter) war dies z.B. der Beruf des Bäckers, Färbers oder Textilbearbeiters. Akademische Berufe blieben die Ausnahme.
Diese Konzentration auf nur wenige Berufe bot den Antisemiten schon vor 1933 einen willkommenen Anlass, die Juden als die „blutsaugenden“ Händler darzustellen, die nur danach trachteten, ihre christlichen Handelspartner zu betrügen und auszubeuten. Wie die Berufsstruktur zeigt, war jedoch auch in der Rhein-Hunsrück-Region die Spanne vom wohlhabenden Händler bis zum Hausierer und Tagelöhner enorm groß und von generellem Wohlstand konnte keine Rede sein. Ein großer Teil der jüdischen Bevölkerung lebte im 19. Jahrhundert in ähnlich ärmlichen Verhältnissen wie ihre nicht-jüdischen Nachbarn.