Jüdisches Leben im Rhein-Mosel-Hunsrück Raum

Der Hunsrück, die Region zwischen Rhein, Mosel, Nahe und Saar, war schon sehr früh von Juden besiedelt. Wohl mit den römischen Soldaten als Händler und Winzer an die damaligen Verkehrsadern Rhein und Mosel gelangt, ließen sich viele in den Orten an den Flüssen nieder. Von dort haben sie sich spätestens im 13. Jh. in Dörfern oder Kleinstädten auf den Hunsrückhöhen niedergelassen. Eine kontinuierliche Besiedlung war damit allerdings nicht verbunden.  

Die zentrale Lage zwischen vielen mächtigen Landesherrn und die territoriale Zersplitterung des Deutschen Reiches bis 1806 begünstigten die Niederlassung in bestimmten Orten, während wenige Meter weiter Juden unerwünscht waren, so in Ober- und Niederhirzenach, wo der Patelsbach zwei Herrschaften voneinander trennte. Die zeitweise Zugehörigkeit zu Frankreich oder mehrere Besatzungszeiten haben spezielle Eigenheiten des linksrheinischen Judentums entstehen lassen.

Die wechselvolle Geschichte dieser Landschaft als Aufmarschgebiet und Zankapfel zwischen den Erbfeinden Deutschland und Frankreich, als Grenzgebiet und Teil der preußischen Rheinprovinz ab 1815, machen eine Gesamtdarstellung der deutsch-jüdischen Geschichte dieses Raumes sehr komplex. Die lange Preußenzeit bis 1945, die Eingliederung in das neu entstandene Bundesland Rheinland-Pfalz 1947, mehrere kommunale Gebietsreformen und die wirtschaftliche Randlage umreißen die Probleme einer ganzheitlichen Betrachtung. Trotz allem hat das Landjudentum viele Gemeinsamkeiten: Die Quellenlage in früher Neuzeit bis 1800 ist größtenteils sehr spärlich, 1823 lebten über 20.000 Juden in der Rheinprovinz, bis 1910 war die jüdische Bevölkerung auf  57.287 angewachsen. Die agrarisch strukturierten Regionen wie der Hunsrück wiesen einen jüdischen Bevölkerungsanteil von 4,7% auf. In manchen Kleinstädten und Dörfern (z.B. Laufersweiler, Gemünden) stieg diese Zahl um 1900 auf über 20%. Dies hing zusammen mit der wirtschaftlichen Erschließung der Hunsrückhöhen durch die Eisenbahn zu Beginn des 20. Jahrhunderts, dem Viehreichtum und damit verbundenen erhöhten Handelsmöglichkeiten.  So erschlossen jüdische Händler weitere Regionen für ihre segensreiche Tätigkeit, erweiterten ihre Verwandtschafts- und Handelsbeziehungen und trugen so zu einem bescheidenen wirtschaftlichen Fortschritt bei. Im 19. Jh. sind alleine im Vorderhunsrück in 27 Orten Juden nachweisbar. Sie zogen in die Orte, wo Einrichtungen einer jüdischen Religionsgemeinschaft vorhanden waren, viele kleine Dörfer ohne jüdische Gemeinden waren meist nur Durchgangsstationen (z.B. Dommershausen, Lindenschied, Herschwiesen, Dichtelbach, Dillendorf, Gehlweiler, Kappel, Büchenbeuren).

Da Juden lange Zeit vom Landerwerb ausgeschlossen waren, gab es auch nach einer Phase der Emanzipation wenige jüdische Landbesitzer oder reine Landwirte. Die von der christlichen Umgebung aufgezwungene Handelstätigkeit erstreckte sich vor allem auf den Viehhandel, die "Viehjuden" prägten bis 1933 das Marktgeschehen etwa in Kirchberg, Simmern oder Kastellaun.  Handwerksberufe beschränkten sich zumeist auf die für die  Ausübung religiöser Riten notwendigen Berufe wie Metzger (Schächter), Bäcker, Färber oder Textilbearbeiter. Akademische oder künstlerische Berufe der Großstädte (Ärzte, Schriftsteller, Juristen, Schauspieler) waren seltene Ausnahmen. So weist die Berufstätigkeit der Einwohner von Gemünden im Jahre 1853 18 Händler, 8 Viehhändler, 1 Tagelöhner, 1 umherziehenden Kleinhändler, 1 Musiker, 2 Landwirte, einen Lehrer, 2 Lumpensammler, 1 Kunsthandwerker und 1 Metzger auf.  Einige Familien der Region verdienten sich ein Zubrot mit dem Verkauf von Milch oder sogar Handkäs an Privatpersonen oder durch  "Kappesschneiden", Vermietung von Fremdenzimmern oder Weinbergsarbeit.

Die Krisen der Weimarer Republik (Nachkriegskrisen, Inflation, Viehseuchen, Weltwirtschaftskrise) trafen die jüdischen Familien ebenso wie ihre christlichen Nachbarn, so dass viele in die Großstädte zogen oder ins Ausland auswanderten. Die Kinder der "Viehjuden" - zumeist die Jungen - zogen nun andere Berufe vor, gingen auf höhere Schulen, wanderten in die Ballungsgebiete ab oder in den 1930er Jahren ins Ausland aus.  Ein Wandel des Landjudentums begann, der dann durch die Rassenpolitik der Nationalsozialisten gewaltsam beendet wurde. Die Jahrhunderte alte Tradition des Landjudentums fand damit ihr Ende.

V.l.: Paul, Marga und Rolf Mayer und Marcel Baum 1937
Sally Mayer II , Laufersweiler (links), für sein Vaterland im Ersten Weltkrieg gefallen.
Vermutlich der letzte Viehhändler der Region: Gustav Jakob Forst (Kastellaun), deportiert 1942.