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Antisemitismus
Die Marter des "Heiligen Werner" von Bacharach - in der barocken Statue manifestiert sich der christliche Antijudaismus.

Feindschaft gegen Juden lässt sich bereits bis in die Antike zurückverfolgen. Das Mittelalter kennzeichnet einen ausgeprägten christlichen Antijudaismus, eine in erster Linie religiös begründete Ablehnung. Stets mischten sich dazu aber auch soziale und ökonomische Motive. Erst im 19. Jahrhundert entstand der Begriff des Antisemitismus und bezeichnete eine rassisch motivierte Feindschaft, die Juden zunehmend als ethnische und soziale Gruppe definierte.

Pogrome am Mittelrhein

Um die aggressive Judenfeindschaft zu festigen, entstanden seit dem 13. Jahrhundert Legenden, die die Bösartigkeit der Juden gegenüber Christen beweisen sollten, und in Erzählungen über Ritualmorde ihren Ausdruck fanden. In Oberwesel am Rhein wurde 1287 der Tod des jungen Knaben Werner aus Womrath zur Entstehung einer Legende nach bekanntem Muster instrumentalisiert: Um das Pessachfest sollen Juden den christlichen Jungen entführt haben, um an ihm die Passion Christi zu wiederholen und sein Blut für rituelle Zwecke zu gewinnen. Auf die Beschuldigungen folgten aggressive Pogrome, die nicht nur Orte am Mittelrhein trafen, sondern weit darüber hinaus gingen. Auch in den folgenden Jahrhunderten kam es immer wieder zu solchen gewaltsamen Übergriffen und Vertreibungen. Ermordungen sind belegt u.a. in Oberwesel, Boppard, Kirchberg, Rheinböllen, Koblenz, Alken, Münstermaifeld und Cochem.

Erst 1963 wurde das Wernerfest aus dem Kalender der katholischen Kirche gestrichen. Von den Nationalsozialisten aufgegriffen, hat der in Oberwesel aufgewachsene, spätere Rabbiner Alfred Gottschalk lebhafte Erinnerungen an den Tag der Wernerprozessionen

Alfred Gottschalk im Interview mit der Shoah Foundation: Ab Min 12.40 erzählt er von seinen Erinnerungen an den Werner-Tag.

Emanzipation?

Vom 16. Jahrhundert an bis zur Französischen Revolution war das Schicksal der Juden von den entsprechenden Landesherren abhängig. Gegen hohe Zahlungen erhielten sie die Erlaubnis sich niederzulassen sowie ein Minimum an Schutz vor Verfolgungen.

Im Zuge der Aufklärung gelang es den Juden sich allmählich aus den sozialen Schranken zu befreien und eine rechtliche Gleichstellung zu erwirken. Doch unmittelbar auf die Emanzipation folgten Bewegungen, die eine Rücknahme der Gleichberechtigung forderten. Forciert durch gesellschaftliche und ökonomische Krisen, kam es erneut zu pogromartigen Übergriffen.

Die Reichspogromnacht

Am 9. November 1938 erlag der Legationssekretär Ernst vom Rath den Verletzungen eines auf ihn verübten Attentats. Der polnische Jude Herschel Grünspan hatte wenige Tage zuvor mehrere Schüsse auf den Diplomaten abgegeben, um die Ausweisung seiner Familie in deutsch-polnisches Grenzgebiet zu rächen und die Welt auf dieses Unrecht aufmerksam zu machen. Die Ermordung vom Raths nahm die Führung der NSDAP zum Vorwand, um im ganzen Land gewaltsame Ausschreitungen gegen Juden und jüdisches Eigentum auszulösen. Deklariert wurden die antisemitischen Aktionen als spontaner Ausdruck des "Volkszorns", während in der Nacht noch entsprechende Anweisungen an die örtlichen Dienststellen der NSDAP bis in jedes Dorf ergingen.

In Gemünden und Boppard erfolgten die ersten Übergriffe noch in der Nacht des 9. November. In den übrigen Orten der Rhein-Hunsrück-Region, wie in den meisten anderen ländlichen Regionen, kam es erst im Laufe des Nachmittags des 10. Novembers zu Plünderungen, der Schändung von jüdischen Heiligtümern und auch gewalttätigen Übergriffen auf Personen. Rollkommandos der SA und SS zogen von Ort zu Ort, um die Übergriffe zu initiieren und umstehende Bürger in die Aktivitäten miteinzubeziehen. Auch in den Folgetagen kam es immer wieder zu Aktionen gegen einzelne Personen.
 

"Auf unerklärliche Weise fing nachts gegen 12 Uhr die Synagoge plötzlich Feuer."
(Aus der Schulchronik Gemünden über die Nacht zum 10. November)

Die Synagogen des heutigen Rhein-Hunsrück-Kreises wurden bis auf die Synagoge in Rheinböllen ausnahmslos geplündert. Dass die Gotteshäuser in Boppard, Kastellaun, Kirchberg, Laufersweiler, Oberwesel, Sohren, St. Goar und Werlau nicht in Flammen aufgingen, war wohl der engen Bebauung und dem energischen Eingreifen der besorgten Anwohner zu verdanken. In Kastellaun und Boppard wurden die Synagogen in den folgenden Tagen bis auf die Grundmauern niedergerissen. In Boppard wurden dazu die kurz zuvor inhaftierten Schutzgefangenen herangezogen. Am 10. November wurden in den Hunsrückgemeinden fast alle jüdischen Männer verhaftet, viele nach einigen Tagen der Inhaftierung in die Konzentrationslager Buchenwald, Sachsenhausen und Dachau deportiert, aus denen sie erst entlassen wurden, nachdem sie sich zu einer baldigen Ausreise aus Deutschland bereiterklärten.

Erinnerungen an die Reichspogromnacht
 

Der damals 13-jährige Heinz Joseph erlebte die Übergriffe gemeinsam mit seiner Schwester, Mutter und dem Großvater in Laufersweiler. Am Abend des 10. November drangen SS-Schergen in ihr Wohnhaus ein, zertrümmerten die Einrichtung und zahlreiche Fenster, schlugen brutal auf den Großvater ein und trieben die Familie unter Drohungen und Beschimpfungen aus dem Haus. Auch der Familienbetrieb, eine Matzenbäckerei, fiel der Zerstörungswut zum Opfer. Schutz fand die Familie bei dem katholischen Priester. Heinz Joseph hielt seine Erinnerungen an diese Nacht auf der Rückseite eines Filmplakates fest.