Wiedereröffnung der Ausstellung "Erwachet aus dem langen Schlafe..."

In einem Nebenraum der Martinskirche Oberwesel: Eine Holzfigur zeigt die Marter des "Guten Werner". Bei der Darstellung der Juden wird auf bekannte antisemitische Stereotype zurückgegriffen.

Im Zuge der umfassenden Maßnahmen zur Eindämmung von Covid-19 war in den vergangenen Monaten auch die ehemalige Synagoge sowie das Hunsrück-Museum Simmern mit unserer Ausstellung "Erwachet aus dem langen Schlafe" geschlossen. Wir freuen uns sehr, dass die Ausstellung durch das Entgegenkommen des Museums und der Leihgeber bis zum Ende des Jahres verlängert werden konnte. Beide Einrichtungen sind nun wieder geöffnet und können unter Einhaltung der allgemein gültigen Abstands- und Hygieneregeln und nach Anmeldung besucht werden.

Seit der Eröffnung im November konnte das Ausstellungsensemble durch einige interessante Objekte ergänzt werden. Die letzte Erweiterung erfolgte erst Anfang Juni, als eine Holzplastik des Werner von Womrath in die Ausstellungsräumlichkeiten des Simmerner Schlosses einzog und hier nun dank der freundlichen Kooperation mit der katholischen Pfarrgemeinde Oberwesel zum ersten Male für die Museumsbesucherinnen zugänglich ist. Bei der Figur handelt es sich um ein faszinierendes Dokument des christlichen Antijudaismus, wie er im Spätmittelalter in der Rhein-Hunsrück-Region zum Ausdruck kam.

Die Statue zeigt auf drastische Weise das angebliche Martyrium des christlichen Knaben Werner aus Womrath im Hunsrück, dessen Leiche 1287 in der Nähe von Bacharach auf einem Feld gefunden wurde. Für den ungeklärten Todesfall wurden die Juden als schuldig erklärt; Ritualmordvorstellungen fütterten die Legende des „Guten Werner“: Juden sollen ihn am Karfreitag ermordet und sein Blut für ihre Pessachfeier verwendet haben. Werners Blut wird in Schalen unter dem Kopf und am linken Bein gesammelt. Er wird von zwei Schergen gemartert, die durch ihre Hüte und ihre körperliche Darstellung sofort als Juden zu identifizieren sind. Dieser angebliche Mord führte zu einer Pogromwelle, die weit über den Mittelrheinraum hinausging.

In den folgenden Jahren gewann Bacharach, wo Werner ehrenvoll in der Kunibertkapelle beigesetzt wurde, als Wallfahrtsort an Bedeutung. Um Werner entstand ein regelrechter Märtyrerkult: Über Jahrhunderte hinweg wird er in den Rheinstädten Bacharach und Oberwesel und in vielen Regionen Europas als heilig verehrt.

Alfred Gottschalk, der in den 1930er Jahren in der jüdischen Gemeinde in Oberwesel aufwächst und später als Rabbiner in den Vereinigten Staaten lebt, erinnert sich noch gut an die Prozessionen, die noch bis 1971 anlässlich des Wernertages in Oberwesel stattfinden. In einem Interview mit der Shoah Foundation schildert er, wie die ganze Stadt „auf den Kopf gestellt wurde“: „Das war der Tag an dem meine Freunde, mit denen ich sonst das Jahr über spielte, mich verprügelten und beschuldigten, Werner umgebracht zu haben. Die Schläge waren manchmal ziemlich heftig, sodass ich irgendwann am Wernertag niemals mehr das Haus verließ“.

Die Holzstatue aus dem Jahr 1727, die sich bis zur Renovierung 1966 in der Martinskirche in Oberwesel befand, als auch Auszüge aus dem Interview mit Rabbi Alfred Gottschalk über seine Kindheit in der Stadt am Mittelrhein können nun in der Ausstellung „Erwachet aus dem langen Schlafe...“ im Hunsrück-Museum erkundet werden.