Schuetzenverein
Vereins- und Freizeitleben
Schützenverein "Wilhelm Tell" 1929 mit dem zweimaligen Schützenkönig Isaak Forst und seinem Sohn Alex Forst.

Über Konfessionsgrenzen hinweg

Der Pferdehändler Isaak Forst aus Kastellaun wurde nach vorausgegangener „Ballotage“ (Geheime Abstimmung mithilfe kleiner Kugeln) in den Schützenverein „Wilhelm Tell“ aufgenommen. In den Jahren 1903 und 1911 schoss er sich sogar zum Schützenkönig. Nach 1933 wurde seine Plakette in der Ehrengalerie entfernt und erst ein engagiertes Vereinsmitglied sorgte 2004 dafür, dass die Plakette wieder ihren Ehrenplatz fand. Im Protokoll des Kastellauner Schützenvereins ist nicht vermerkt, dass der Verein beschlossen habe, Juden aus dem traditionsreichen Verein auszuschließen. Vielleicht kamen die Mitglieder Isaak und sein Sohn Alex Forst durch die Flucht aus Deutschland einem Ausschluss zuvor.

Dieser Vorgang ist exemplarisch für die meisten jüdischen Landbewohner: Sie waren an der Gründung vieler Vereine beteiligt, waren Mitglied gleich mehrerer Vereine, tonangebend in Kulturvereinen (z. B. Gesangverein, Theaterverein) oder gar in Kriegervereinen, turnten in Damenriegen, spielten zusammen Faustball, nahmen an Ausflügen teil und lernten gemeinsam mit Gleichaltrigen das Tanzen.

Auch auf politischer Ebene kamen Juden ihren staatsbürgerlichen Pflichten nach: Lazarus Wolf war in französischer Zeit  von 1800 bis 1804 „Präsident der Munizipalität“, d.h. Bürgermeister. Henriette Gerson, geb. Trum, wurde nach 1919 in den Stadtrat in Oberwesel gewählt. Ihre Zwillingssöhne waren im Ersten Weltkrieg gefallen. In vielen Dörfern und Städten waren jüdische Deutsche in Kommunalparlamenten aktiv. Von Kirchberg berichtet der Lehrer Moses Eppstein im Jahre 1867, dass der Kaufmann Heymann überwiegend von Nicht-Juden in den Stadtrat gewählt worden sei.

SaBa-Polka

Simon Baum aus Bruschied (1851 bis 1914) war ein gefragter Musiker und spielte im ganzen Hunsrück auf Tanzveranstaltungen auf. Seine z.T selbst komponierten Stücke sammelte er in einem Notenbuch, das 2014 auf dem Speicher seines einstigen Wohnhauses gefunden wurde. Heiner Schneider, Vorsitzender des Stumm-Orgelvereins in Rhaunen, übereignete das Erinnerungsstück 2016 dem Förderkreis Synagoge Laufersweiler. 2020 arrangierten Irith Gabriely und Peter Przystaniak ein Stück aus der Sammlung und gaben diesem den Titel SaBa-Polka. SaBa ist ein Akronym aus dem Namen "Samuel Baum", dem Sohn Simon Baums, der ebenfalls als Musiklehrer tätig war und in dessen Besitz sich das Notenbuch zuletzt befand. "Saba" ist zugleich die hebräische Bezeichnung für "Großvater". Mittlerweile (2021) liegen sechs rekonstruierte Musikstücke vor.

Ausschluss jüdischer Mitglieder

Vereinigungen wie diese waren wohl die Institutionen, in denen die Zugehörigkeit zur Religion bis 1933 keine große Rolle spielte. Hier fand das gesellige und gesellschaftliche Zusammenleben über Konfessionsgrenzen hinweg statt, teilweise noch im Verborgenen nach 1933. Die Verbote solcher Vereine bzw. der Ausschluss aus diesem wichtigsten Integrationsfaktor einer Kleinstadt oder eines Dorfes bedeutete für viele ein herber Schlag: soziale Kontakte und Freundschaften zerbrachen, die gesellschaftliche Ausgrenzung der Juden vollzog sich rasant. Auch die Tätigkeit eines überregionalen Fußballvereins des Reichsbundes jüdischer Frontsoldaten (Vorstandsmitglied Alex Forst, Kastellaun) zum Zwecke der „Ertüchtigung der Jugend“ gemäß dem „Führerprinzip“ währte nicht sehr lange. Die Flucht vieler Mitglieder und das Verbot des RjF 1938 machten auch diesem letzten jüdischen Verein ein Ende. Der Weg zur gewaltsamen Lösung der sog. „Judenfrage“ war bereitet.