„Es gab keinen Unterschied zwischen Juden und Christen.“
In ihren schriftlichen und mündlichen Erinnerungen erzählen viele jüdische Menschen von einer unbeschwerten Kindheit mit nicht-jüdischen Freunden und Freundinnen, von gemeinsamen sportlichen und anderen Freizeitaktivitäten. Hilde Forst aus Kastellaun hat Nähkurse bei katholischen Ordensschwestern und gegenseitige Besuche an hohen Feiertagen in besonderer Erinnerung. Echte Freundschaften haben jedoch nur selten die NS-Zeit (1933-1945) überdauert: „Da standen wir uns gegenüber, eigentlich fremde Menschen“, schreibt Hans Shimon Forst (1917-2011) über ein Klassentreffen Simmerner Gymnasiasten nach 60 Jahren im Jahre 1994.
Im Klassenzimmer
In der Schule mussten jüdische Kinder und Jugendliche ebenso wie christliche Schülerinnen und Schüler bisweilen unter der „Rohrstockpädagogik“ ihrer Lehrer leiden. Da war es gleich, ob sie eine eigene private jüdische oder die überkonfessionelle Schule besuchten. In der Regel war es eine evangelische. Da sich die kleinen jüdischen Gemeinden keinen eigenen Lehrer oder gar einen Rabbiner "leisten" konnten, kamen "Wanderlehrer" einmal in der Woche in die Dörfer und unterrichteten die Kinder in Hebräisch und in jüdischer Religion. So kam Arie Gabel aus Boppard nach Kastellaun oder Heymann Unikower aus Simmern bis nach Laufersweiler.
Die Auseinandersetzung mit dem Talmud und der gelehrten Literatur sind wichtiger Teil der religiösen Praxis, ein ausgeprägtes Bildungsbewusstsein kennzeichnet daher die jüdische Kultur. Auch unter den Landjuden war der Wille, ihren Kindern eine gute Ausbildung und damit den sozialen Aufstieg zu ermöglichen, sehr groß. Da die Chancen dazu auf dem Land jedoch eher gering waren, verließen viele Söhne ihre Familien im Jugendalter, um in den Städten eine handwerkliche oder kaufmännische Lehre aufzunehmen oder gar ein Gymnasium zu besuchen.
Sohn des Gebotes
Auf dem Weg zum Erwachsenwerden durchlaufen (männliche) Juden verschiedene Passageriten, die den Übergang zu einem neuen religiösen Status markieren: Acht Tage nach der Geburt eines Jungen erfolgt die Brit Mila, die Beschneidung, die symbolisch für den Bund mit Gott steht. Im Alter von 13 Jahren erlangen sie religiöse Mündigkeit. Sie werden zum "Bar Mitzwa", zum „Sohn des Gebotes“, und übernehmen damit alle religiösen Rechte und Pflichten eines vollwertigen Mitgliedes der jüdischen Gemeinschaft. Das Fest wird feierlich in der Synagoge begangen und der Bar Mitzwa zum ersten Male aufgefordert, den Wochenabschnitt aus der Tora zu lesen und den Segen über die Heilige Schrift zu sprechen.
Die Beschneidung, die Bar Mitzwa, und schließlich die Hochzeit waren und sind die entscheidenden religiösen Stationen im Leben eines Gläubigen. Sie werden ihnen schon auf dem Beschneidungswimpel aufgezeichnet, der beim Tode mit ins Grab gelegt wird.
Die Slideshow zeigt eine Zusammenstellung von Objekten und Fotografien aus der Kinder- und Judendzeit von Jüdinnen und Juden.
Unter dem Hakenkreuz
"Wir waren eine ganz schlechte Gesellschaft gewesen, haben alle möglichen Sachen gemacht. Wir waren zwei Judenjungen und fünf Christen. Da war kein Unterschied zwischen uns. Nach dem 30.01.1933 ist Hitler Kanzler geworden. Ich kam in die Schule. Meine besten Freunde haben gesagt 'Jude, geh' nach Palästina, hier hast du nichts zu suchen.' Ich war 10 Jahre alt. Ich habe nicht gewusst, was wollen sie von mir mit Palästina? Dass ich ein Jude war, war ganz klar. Ich habe nie versucht, das zu verleugnen, aber warum soll ich nach Palästina gehen?"
Viele Eltern versuchten schon in den 1920er Jahren ihre Kinder vor dem aufziehenden rassischen Antisemitismus zu schützen. Dies galt umso mehr in den 1930er Jahren. Es ging beispielsweise soweit, dass die Mutter von Harry Heymann (geb. 1926, später Raymon) ihm die abstehenden Ohren anklebte, damit er nicht dem Vorurteil des „urtypischen“ Juden entsprach. Doch die Kinder und Jugendlichen spürten zunehmend, dass sich etwas veränderte.
Für alle sind die Demütigungen und der Rausschmiss aus der Schule das einschneidende Ereignis: „Das beliebte Lernen wurde mir gründlich verleidet“ (Hans Shimon Forst). In einem Fall demonstrierte ein Laufersweiler Lehrer an der nackten Marga Mayer vor der Schulklasse die Rassenmerkmale einer Jüdin.
Paula Petry: Ä Kind steht am Zaun (Aus: Iwert Dorf enaus)
Die Mundartdichterin Paula Petry aus Hennweiler erinnert sich an den Schulausschluss ihrer guten Freundin Ilse Goldberg. Als Kind versteht sie nicht, warum sie nicht mehr miteinander spielen dürfen.
Gelesen von Gisela Wagner, Laufersweiler