Ausstellungseröffnung „Erwachet aus dem langen Schlafe!“

Am Shabbat-Tisch ist Pnina Drach (Israel) in ein Gespräch vertieft mit Peter Bleser (MdB). Unter den Familienfotos im Hintergrund befindet sich auch ihre Großmutter Alma Mayer.

Im Dezember 1867 berichtet der Lehrer Moses Eppstein für die "Allgemeine Zeitung des Judentums" freudig über die neuesten Entwicklungen in Kirchberg: „So wie in allen Gauen Deutschlands, so zeigt sich auch endlich in unserer abgeschlossenen Gegend ein Fortschritt.“ Anlass zu seinem optimistischen Bericht bot die Stadtratwahl: „So lange Juden hier wohnen, waren dieselben von jedem öffentlichen Ehrenamte ausgeschlossen; bei der gestrigen Stadtratwahl aber wurde zum ersten Male ein Jude, Kaufmann Heymann, gewählt, und zwar lediglich von Nichtjuden.“ Euphorisch blickte Eppstein in die Zukunft und fordert die jüdischen Gemeinden zu einem neuen, starken Selbstbewusstsein auf: „Also ihr Kollegen der Bezirke Trier und Koblenz! [...] So wie die Erde in dieser Zeit zu neuem Leben erwacht, so erwachet auch ihr Herren von Mosel und Saar, von Nahe und Glan, aus dem langen Schlafe!“

Eppsteins Aufruf „Erwachet aus dem langen Schafe“ wurde als Titel jener Ausstellung gewählt, die seit dem 3. November im Simmerner Schloss zu sehen ist und in Kooperation zwischen dem Hunsrück-Museum und dem Förderkreis Ehemalige Synagoge Laufersweiler entstand. Sie widmet sich dem Landjudentum, jenem deutsch-jüdischen Leben, wie es vor 1933 in ländlichen Regionen existierte und im Zuge der nationalsozialistischen Diktatur endgültig zerstört wurde. Der Zeitungsbeitrag ist Ausdruck einer beginnenden Emanzipation des Judentums, die mit der Französischen Revolution einsetzte und erst allmählich auch die als rückständig betrachteten jüdischen Gemeinden auf dem Lande erreichte.

Infolge der Pogrome und Verfolgungen des hohen Mittelalters waren viele Juden in ländliche Regionen geflohen. Um 1800 lebten etwa 90% der deutschen Juden in Dörfern und Kleinstädten. Trotz vieler Einschränkungen integrierten sie sich in das dörfliche soziale und wirtschaftliche Leben – so auch im Hunsrück. Die Ausstellung rückt das von der Geschichtsforschung bisher eher vernachlässigte jüdische Leben auf dem Land in den Fokus der Darstellung und zeichnet dessen wechselvolle Geschichte am Beispiel der Rhein-Hunsrück-Region nach.

Inhaltlich ist die Ausstellung in drei Bereiche gegliedert:

Eine Einführung vermittelt historische Hintergründe und gibt allgemeine Einblicke in das soziale und wirtschaftliche Leben der Juden auf dem Lande. Dabei wird der Frage nachgegangen, warum gerade im Rhein-Hunsrück-Raum viele jüdische Gemeinden entstanden, mit welchen Auflagen und Einschränkungen ihre Niederlassung verbunden war, und wie eine spezifische Berufsstruktur beschaffen war.

Einen weiteren Themenschwerpunkt bildet das religiöse Leben auf dem Lande. Rituelle und sakrale Objekte, die meist nur über Umwege zurück in den Hunsrück gefunden haben, geben Einblicke in die jüdischen Feiertage und den jüdischen Lebenszyklus. Neben Exponaten und Fotos aus der Sammlung in Laufersweiler bilden Leihgaben aus Zell und Niederzissen, wo Judaica aus dem 18. Jahrhundert versteckt die Zerstörung des Nationalsozialismus überdauert haben, eine wertvolle Ergänzung. Besonderes Highlight der Ausstellung bildet eine digitale Rekonstruktion der Synagoge in Simmern, die zum ersten Mal der Öffentlichkeit präsentiert wird.

Ein weiterer Bereich widmet sich der Zeit nach dem Nationalsozialismus und der Thematik ‚Leben mit einem Trauma‘. Eine Installation mit den Namen der Opfer aus der Rhein-Hunsrück-Region regt zum Innehalten und Gedenken an. Zitate von Überlebenden und ihren Angehörigen verbinden glückliche Erinnerungen, Reflexionen, Ängste, Wunden. Drei großformatige Gemälde des Künstlers Ferdinand Frieß aus Bad Kreuznach sind ein Beispiel für innerfamiläre Vergangenheitsbearbeitung und transgenerationelle Traumaweitergabe.

Bei der Gedenkarbeit in der ehemaligen Synagoge und insbesondere im Austausch mit Besuchergruppen wird immer wieder deutlich, dass Judentum fast ausschließlich durch die Brille des Holocaust wahrgenommen wird. Die Ausstellung möchte stattdessen den Fokus auf jüdisches Leben legen und mehr Aufmerksamkeit für das „Landjudentum“ generieren. „Erwachet aus dem langen Schlafe – Jüdisches Leben auf dem Lande“ wird noch bis zum 19. April 2020 im Hunsrück-Museum Simmern zu sehen sein und durch ein umfassendes Rahmenprogramm begleitet.

Prof. Dr. Stephan Laux (Universität Trier) hält den Eröffnungsvortrag "Das Landjudentum - Entstehung und Lebenswelt".
Der Saal im Simmerner Schloss bietet kaum genug Platz für die zahlreichen Besucher der Eröffnungsfeier.
"Ein Mensch ist erst vergessen, wenn sein Name vergessen ist" (Talmud): Installation zum Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus im Rhein-Hunsrück-Kreis.