Foto Berthold und Herta Oster, geb. Ochs
Die Familien Ochs
Berthold und Herta Oster, geborene Ochs (aus dem Privatbestitz von Karen Ochs-Amsterdam)

Im Zuge ihrer Spurensuche in Gemünden legte Karen Ochs-Amsterdam (Kalifornien/USA) folgende Familiengeschichte ihrer Großmutter Helene Ochs nieder. In Übersetzung von Daria Dinges und Christof Pies. 

Zu der Zeit der Nazis reichte die dokumentierte Geschichte der jüdischen Ochs-Familien aus dem Hunsrücker Dorf Gemünden ungefähr 200 Jahre zurück. Über die Jahrhunderte wuchs die Ochs-Familie Gemündens in etliche Zweige. Diese Familiengeschichte wird sich auf den Ast von Thekla und Salomon Ochs fokussieren. 

Das Schicksal von Salomon und Thekla Ochs

Meine Großmutter Helene war das jüngste Kind von Thekla und Salomon Ochs. Helene („Lena“) war das einzige Kind, das nach 1900 geboren wurde. Sie wuchs in den Anfangsjahren des neuen Jahrhunderts mit ihren fünf Geschwistern in Gemünden auf. Während der Zeit des Ersten Weltkrieges und bis etwa 20 Jahre danach lebten alle sechs Kinder von Thekla und Salomon Ochs in Deutschland - entweder in oder sehr nah zu Gemünden.

Gegen Ende des Zweiten Weltkrieges 1945 waren allerdings nur noch Helene (die 1939 aus Deutschland floh und die Kriegsjahre in Shanghai, China verbracht hatte) und einer ihrer Brüder (Ludwig/Louis Ochs, der in die USA geflohen war) am Leben.

Die vier anderen Geschwister von Ludwig/Louis und Helene sowie ihre Eltern und der Großteil ihres weiteren Familienkreises aus Gemünden starben in den späten 1930ern und in den ersten Jahren der 1940er. Einige Mitglieder der Ochs-Familie wurden in Konzentrationslagern ermordet, andere verschwanden unter Umständen, die ebenfalls auf die Verfolgung durch die Nationalsozialisten hinweisen.

Gedenktafel am Haus in der Knauerstr. 27, NürnbergFür Helene und Ludwig/Louis blieb das genaue Schicksal ihrer Eltern ungeklärt (Salomon und Thekla Ochs starben beide im Frühling von 1942 in einem sogenannten „Judenhaus“ in Nürnberg in der Knauerstr. 27). Die Todesumstände sind bisher nicht bekannt, da die offiziellen Urkunden Zweifel an einem natürlichen Tode aufkommen lassen. Die übrigen Bewohnerinnen und Bewohner dieses Hauses wurden kurze Zeit später deportiert. Außerdem fanden die beiden Überlebenden nie heraus, was genau ihren älteren Geschwistern Erna und Theodor, die beide ungefähr zur gleichen Zeit wie ihre Eltern verschwanden, zugestoßen war. 

Die Geschwister Waldemar und Herta Ochs

Nur die Namen von zwei Kindern von Thekla und Salomon Ochs sind auf dem Gemündener Denkmal verzeichnet: Waldemar "Walter" Ochs und Herta Oster. (Walter und Herta sind außerdem auch in dem Gedenkbuch des Bundesarchivs als Opfer der Naziverfolgung verzeichnet.) Bedauerlicherweise sind viele Details über das Leben von Walter und Herta verlorengegangen, zusammen mit weiteren Aspekten aus der 200-jährigen Geschichte der Familie aus Gemünden. Doch dank der Arbeit fleißiger Forscherinnen und Forscher aus Deutschland und den Niederlanden gibt es nun ein paar Informationen über Waldemar "Walter" Ochs (1894-1945) und seine Schwester Herta Oster (geborene Ochs, 1898-1941).

Im Folgenden ist die Geschichte der zwei Ochs-Geschwister kurz wiedergegeben. Sie wurden beide in Gemünden geboren und sind dort aufgewachsen, gemeinsam mit meiner Großmutter Helene, welche mit mir stückchenweise Informationen über ihr Leben teilte als ich ihr ungeschickt ein paar Fragen über unsere Familiengeschichte stellte. (Ich stellte ihr diese Fragen in einem „Interview“, das ich nicht lange nach meiner kurzzeitigen Tätigkeit als Reporterin für meine High School-Zeitung mit ihr führte. Dieser Einsatz war in einer Zeit als Interviews noch mit Stift und Notizbuch protokolliert wurden. Bedauerlicherweise entschied ich mich zu diesem Anlass für ein recht kleines Notizbuch.)

Waldemar "Walter" Ochs
Herta Ochs

Wenn ich an die fürchterlichen Erfahrungen von Herta, Walter und vielen weiteren Ochs-Angehörigen denke, deren Leben durch die Verfolgung der Nazis beendet wurden, kann ich auf jeden Fall das Nachkriegs-Schweigen von Personen wie meiner Großmutter verstehen. Die traumatisierten Überlebenden versuchten so gut wie möglich mit ihrem Leben fortzufahren. Und für sie hieß Fortfahren in stummem Schmerz zu leben, ihre Methode um traumatisierende Erinnerungen zu verdrängen.

Dennoch glaube ich wirklich, dass sie die Bemühungen, die ihre jüngeren Familienmitglieder gemeinsam mit vielen engagierten europäischen Forscherinnen und Forschern derzeit unternehmen, um die Namen und Geschichten der Holocaustopfer für kommende Generationen zu bewahren, gutheißen würde. Ich glaube, meine Großmutter würde wollen, dass die Menschen des 21. Jahrhunderts und folgende Generationen über die verlorenen Mitglieder der Ochs-Familie Gemündens Bescheid wissen.