Bereits ab Ende des 19. Jahrhunderts setzte ein Wandel des Landjudentums ein und immer mehr jüdische Familien verließen die engen Strukturen der Hunsrückdörfer, um in die Großstädte oder ins Ausland abzuwandern. Durch die Rassenpolitik der Nationalsozialisten fand die Tradition des Landjudentums ein gewaltsames Ende. Auch wenn nach der Shoah vereinzelt kleine jüdische Gemeinden in Deutschland entstanden, konnte es keine Anknüpfung an das Leben vor 1945 geben.
Jüdisches Leben in Rheinland-Pfalz heute
Eine jüdische Gemeinde konnte sich im Rhein-Hunsrück-Raum nach dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr formieren. Stattdessen konzentriert sich jüdisches Leben heute in städtischen Zentren, wo seit den 1990er Jahren jüdische Kultusgemeinden wieder wachsen. In Rheinland-Pfalz leben etwa 3000 Juden (Stand 2019), die als Mitglied in einer solchen Gemeinde gemeldet sind, während die Zahl derer, die nicht registriert sind, um ein Vielfaches höher geschätzt wird. Lebendige jüdische Gemeinden gibt es in Bad Kreuznach, Koblenz, Mainz, der Rheinpfalz und in Trier. Die egalitäre "Jüdische Gemeinde Neuwied Mittelrhein" ist Mitglied der Union progressiver Juden in Deutschland und nutzt die Landsynagoge in Saffig.
Synagogen
Von den 223 rheinland-pfälzischen Synagogenbauten wurden während der Reichspogromnacht fast alle zerstört. Auch nach 1945 wurden über 40 Gebäude abgebrochen, da diese baufällig waren oder neuen Bauentwürfen weichen mussten - teilweise auch aus dem Wunsch heraus, sich mit der Synagoge der Vergangenheit zu entledigen. Im Jahre 1988 gab es noch 88 Bauten der früheren Gotteshäuser.
Bei der ehemaligen Synagoge in Laufersweiler handelt es sich um die einzige im gesamten Rhein-Hunsrück-Kreis, die heute noch als solche erkennbar ist und damit an die frühere Bestimmung des Hauses erinnert Die Synagogenhäuser der Gemeinden St. Goar, Hirzenach, Boppard, Oberwesel und Rheinböllen sind erhalten, sie dienen heute jedoch als Werkstätten oder Wohnhäuser.
Die Slideshow zeigt erhaltene Spuren des Landjudentums in der Rhein-Hunsrück-Region und verschiedene Formen des Umgangs mit der Erinnerung.
Antisemitismus
Antisemitische Einstellungen und Handlungen sind auch über 70 Jahre nach Ende des nationalsozialistischen Regimes gesellschaftliche Realität. Bundesweit nahmen antisemitische Vorfälle im Laufe der vergangenen Jahre wieder deutlich zu und auch in Rheinland-Pfalz wurden im Jahr 2019 50 antisemitische Straftaten verzeichnet, das sind ca. 50% mehr als noch im Jahr zuvor. Dazu zählen antisemitisch motivierte Bedrohungen und Beschimpfungen, Sachbeschädigung, Propagandadelikte oder die Schändung jüdischer Friedhöfe. Dabei ist davon auszugehen, dass viele Delikte „unsichtbar“ bleiben, da die meisten Straftaten wohl nicht zur Anzeige gebracht oder antisemitische Vorfälle in Statistiken nicht als solche abgebildet werden.
Die Corona-Pandemie hat zu einer weiteren Verschärfung der Situation beigetragen. Verschwörungserzählungen, die sich auf antisemitische Stereotype beziehen, werden vermehrt auf Demonstrationen und im Netz verbreitet. Dabei tritt Antisemitismus nicht mehr nur in rassischer oder religiöser Form auf, sondern nimmt unterschiedliche Erscheinungen an. Judenfeindschaft äußert sich z.B. durch antisemitische Stereotype in einer vermeintlichen Kritik an Israel (Israelbezogener Antisemitismus) oder einer ausgeprägten Erinnerungsabwehr, welche eine Aufarbeitung der Vergangenheit verweigert (Sekundärer Antisemitismus). Judenfeindliche Einstellungen existieren in allen gesellschaftlichen Gruppen und Schichten.
Erinnerung und Bildungsarbeit
Über 70 Mitglieder zählt die Landesarbeitsgemeinschaft der Gedenkstätten und Erinnerungsinitiativen in Rheinland-Pfalz. Darunter solche, die die Aufarbeitung der nationalsozialistischen Verfolgungsgeschichte in den Fokus stellen, aber auch jene, die sich für die Erinnerung an jüdisches Leben einsetzen.
In den 1980er Jahren wuchs das Bewusstsein für die jüdische Geschichte. Es wurde damit begonnen zu forschen, zu sichern, zu bewahren und Akte des Erinnerns und Gedenkens zu initiieren. In Boppard, Rhaunen, Dommershausen (Burg Waldeck), Kastellaun, Kirchberg und Oberwesel wurden in den letzten Jahren über 100 Stolpersteine verlegt.
Die Erinnerung an jüdisches Leben in Deutschland, die Auseinandersetzung mit der Zeit des Nationalsozialismus sowie die entschiedene Positionierung gegen Antisemitismus bleiben wichtige Aufgaben und Herausforderunen für die deutsche Gesellschaft. Gedenken und Erinnern basieren auf Wissen und so kommt der Erarbeitung pädagogischer Konzepte zur historisch-politischen Bildung dabei eine Schlüsselstellung zu.
Von September 2019 bis Mai 2021 gestaltete der Förderkreis der ehemaligen Synagoge Laufersweiler das Begegnungsprojekt "Was geht mich das an?!", um mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen unterschiedlicher Herkunft und Konfession über die Bedeutung der deutsch-jüdischen Vergangenheit ebenso wie über aktuelle Fragen des Zusammenlebens zu diskutieren. Gefördert wurde das Vorhaben durch das Programm LandKULTUR des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft. Im Rahmen eines Videoworkshops gaben christliche, jüdische und muslimische Jugendliche sehr persönliche Einblicke in ihren religiösen Alltag, ihre Überzeugungen und Erfahrungen im Umgang mit Vorurteilen.